Spiritualität ist ein menschliches Grundbedürfnis, sein innerstes
Selbst intim mit dem großen Ganzen zu verbinden und Sinn und Erfüllung
darin zu finden. Doch sie ist auch ein Geschäft
und eine Möglichkeit, Macht über andere zu erlangen. Und so warten auf
spirituelle Sucher nicht nur erleuchtete Meister, sondern jede Menge
Scharlatane und wichtigtuerische Halberleuchtete. Die echten Meister
sind sogar deutlich in der Minderheit. Doch wie unterscheidet man das
erhebende Echte vom wertlosen Plagiat? Ich will hier aus meiner
langjährigen Lebenserfahrung mit verschiedensten spirituellen Szenen
einen kleinen
Grundüberblick wagen, um spirituellen Anfängern schlechte Erfahrungen
zu ersparen und gute Erfahrungen zu erleichtern.
Der erhabene Meister und sein spirituelles Ego
Wo auch immer man auf einen Guru trifft, der sich
von einer Jüngerschar
anhimmeln lässt, halte man Abstand. Ein wahrer Heiliger hat es nicht
nötig, sich wichtig zu machen, weil er seine Energie von seiner inneren
Quelle bezieht. Er braucht keine Bewunderer und unterwürfigen Anhänger,
die sein Ego streicheln, weil er sich selbst genügt. Und er hat
erkannt, dass der Zustand des hellwachen im Jetzt und Hier Weilens
("Erwachen" genannt) so
natürlich ist, dass alle Eidechsen am Wegesrand in diesem Zustand sind,
aus dem nur die Mehrheit verkünstelt zivilisierter Menschen
herausgefallen ist. Warum sollte man sich mit etwas wichtig tun, was
eigentlich das Natürlichste der Welt ist? Sogenannte "Meister", die
dies verkennen,
haben allesamt eine schwere narzistische Störung, die sie von ihrer
eigenen inneren Quelle abschneidet und zwingt, ihre Energie durch
Bewunderung von Aussen zu beziehen, wozu sie oftmals Menschen und
Gruppensituationen zu kontrollieren und zu manipulieren versuchen. Das
sind typische schwarzmagische
Praktiken, die aus spiritueller Unbewusstheit erwachsen. Wer
Erleuchtung sucht, finde einen bescheidenen, unaufdringlichen Meister,
der nicht sein Gefolge beherrschen, sondern beim Erwachen dienlich sein
will.Der überpositive Schattenverdränger
Die spirituelle Szene ist voller einseitig positiver Menschen, die ganz
offensichtlich die Dualität des Yin und Yang nicht verstanden haben.
Licht und Schatten, Aufbau und Zerstörung, Leben und Tod gehören untrennbar zusammen und spielen miteinander
im ständigen Wechsel. Das Leben ist nicht nur immer dauerhaft schön, es
ist auch mal traurig oder leiderfüllt. Man verliebt sich und trennt
sich. Mal hat man Erfolg, mal klappt´s nicht. Die einseitig Positiven
versuchen, den negativen Aspekt zu verdrängen und mit dem
unrealistischen Angebot von nie endender Dauerfreude sich selbst zu betrügen und Jünger
einzufangen. Dabei verdrängen sie einfach nur ihre eigenen,
unverarbeiteten Schatten und wollen auch die Schatten der anderen nicht
sehen. Da die meisten ihrer Jünger selbst reichlich negative
Lebenserfahrung gemacht haben, verfallen sie gerne der Hoffnung auf die
Erreichung eines ewig glücklichen Lebens, das ihnen abgeht. Ein Ziel,
das sie nie erreichen werden, sondern das sie auf Dauer nur frustriert,
weil es der dualen Natur unseres Seins widerspricht,. Erich Fromm hat
diese biologische Tatsache als "Lust-Unlust-Prinzip" beschrieben. Wenn
man einen Berg besteigt, ist dies mühsam und anstrengend. Um so grösser
ist allerdings die Freude, danach glücklich erschöpft auf dem Gipfel zu
stehen und die Aussicht zu geniessen. Wer sich einfach nur vom Helikopter auf dem Gipfel absetzen
lässt, verspürt lange kein so intensives Glück, weil die vorhergehende
Mühsal als Gegenpol fehlt. Ein gelingendes spirituelles Leben
akzeptiert diese Tatsache von Anfang an und versucht nicht, die
leidvollen Aspekte des Lebens zu verdrängen, sondern zu integrieren. In
dieser Akzeptanz lässt sich ein tiefer Seelenfrieden finden, der etwa
bei den Stoikern besonders hoch kultiviert wurde. Ob es regnet oder die
Sonne scheint - entscheidend ist nicht das Mass der äusseren
Behaglichkeit, sondern der inneren Haltung, die mit allen äusseren
Zuständen gut klarkommt. Dennoch heisst das natürlich nicht, dass man
alles Leid einfach schlucken sollte, sondern sich immer fragen muss, ob
man unnötiges Leid nicht überwinden kann. Die Dynamik des
Lust-Unlust-Prinzips ist einer der wesentlichsten Motoren für
persönliche und kollektive Evolution. Wenn man einmal im eigenen Leben
zurückschaut, stellt man oft fest, dass man gerade in schwierigen
Zeiten, in denen es galt, fast unüberwindliche Probleme zu lösen, ganz
besonders stark innerlich gewachsen ist. Die entwicklungsfreudigsten
Menschen sind fast immer diejenigen, die sich nicht nur auf sie zu
kommenden Schwierigkeiten stellen, sondern sich sogar gezielt
schwierige Herausforderungen suchen, um an ihnen wachsen zu können.
Sogenannte "spirituelle Meister", die das nicht verstehen, sind
innerlich kleine unglückliche Kinder geblieben, die dringend einer
Therapie bedürfen. Der unveränderliche Vollerleuchtete
Der Zustand der "Erleuchtung" oder des
"Erwachtseins" wird von vielen
spirituellen "Lehrern" als eine Art statischer Zustand beschrieben, in
dem man unveränderlich weilen kann, wenn man ihn erst einmal erreicht
hat. Wer das glaubt, hat nicht verstanden, dass wir in einer Welt
leben, in der sich alles wandelt und entwickelt. Erwachen endet nie und
geht immer weiter, weil wir neue Erfahrungen machen und uns persönlich
wie kollektiv weiterentwickeln, tiefere Einsichten in unser eigenes
Wesen erlangen und höhere Ausblicke auf das kosmische Ganze gewinnen.
Der Zustand des unveränderlich
Vollerleuchteten ist bei genauer Betrachtung meist eine psychologische
Flucht in den Zustand der Dauermeditation, um sich den Realitäten einer
unmenschlichen Gesellschaft oder persönlich erfahrenen Leids nicht
stellen zu müssen. Meditation als Technik, schlechte Gedanken und
Gefühle zu verdrängen, statt sie zu therapieren ist etwa in der kruden
indischen Gesellschaft weit verbreitet und hat sich von dort im nicht
weniger krassen Westen ausbreiten können. Wer nur noch meditiert, lebt
nicht mehr, sondern hat mit dem Leben abgeschlossen. Echte spirituelle
Meister nehmen dagegen am Alltagsleben teil und zeigen sich als
anfassbare Menschen, getreu der buddhistischen Weisheit: "Vor der
Erleuchtung: Wasser tragen und Holz hacken - nach der Erleuchtung:
Wassertragen und Holzhacken". Und sie sind bereit, sich an den
Herausforderungen des Lebens immer weiterzuentwickeln und diese Haltung
auch an ihre Schüler weiterzugeben. Die einzig wahre Lehre
Viele spirituelle Scharlatane verstecken sich und ihre psychologischen
Probleme gerne hinter ihrem Gott oder der Doktrin, die sie vertreten
und meinen, das einzig wahre Wissen zu verbreiten. Ungeachtet der
tiefeneinsichtigen Weisheit des Sokrates, der feststellte: "Das
einzige, was ich wirklich sicher weiss, ist, dass ich nichts sicher
weiss!" Wer aber meint, schon alles zu wissen, der ist intolerant allen
anderen Überzeugungen gegenüber - und nicht selten sogar gewillt, die
eigene Haltung mit Gewalt gegen den Rest der Welt durchzusetzen.
Fanatischer Fundamentalismus ist häufig das Ergebnis und die Ursache
für die meisten "heiligen" Kriege, die geführt werden. Wahre Meister
lassen anderen ihren Glauben und vertrauen auf das Prinzip der Ökumene:
Dass alle Glaubensrichtungen auf ihre jeweils einzigartige Weise das
EINE Göttliche oder Mystische verehren und im Menschen fördern. Und
sogar "ungläubige" Atheististen oder Materialisten sind Teil des selben
allesumfassenden Spiels, das so tiefgründig ist, dass menschliche Worte
und Glaubenslehren es ohnehin nicht wirklich beschreiben, sondern nur
den Weg zur mystischen Selbsterfahrung andeuten können. Der äussere Gott
Fast alle Hochkulturreligionen und viele heutige
spirituell
Halberleuchtete suchen das Göttliche oder die mystische Erfahrung im
Aussen. Sie beten zu einem eingebildeten Gott im Himmel oder zu einer
Statue im Tempel. Die eigentliche mystische Erfahrung findet aber immer
im eigenen Allerinnersten statt. Das Göttliche ist der ungreifbare
innerste Kern aller Lebewesen und aller Dinge. Wer eine echte
spirituelle Alleinheitserfahrung macht, glaubt nicht mehr
äusserlich-intellektuell, sondern
weiss innerlich-intuitiv, dass wir ALLE im Innersten EINS sind und nur
im Aussen
verschiedene Gestalten ausfüllen, die das EINE grosse Spiel
des Lebens miteinander spielen. Jeder echte Meister wird daher lehren,
das Mystische in sich selbst zu suchen und von dort aus in die Welt
auszustrahlen. Alle sinnvollen spirituellen Erweckungstechniken drehen
sich immer um die Herbeiführung der SELBSTERLEUCHTUNG. Der Meister ist
dabei nur Assistent beim Erwachen des Göttlichen im Menschen, ein
Wegweiser zum eigenen innersten Heiligtum. Diese Übersicht mag sicher noch weiter ausgebaut werden können, aber ich glaube hiermit die grössten und häufigsten Fallen dargestellt zu haben, in die spirituelle Sucher tappen können, wenn sie Rat bei potentiellen spirituellen Fachleuten suchen. In diesem Sinne wünsche ich eine erfolgreiche Suche nach echter spiritueller Inspiration auf dem nie endenden Weg des Erwachens. |